Baugeschichte

Am 19. Januar 1253 verlegten Zisterziensermönche von Steinbeck bei Bispingen kommend ihr Kloster nach Scharnebeck. An seinem neuen Standort in der Elbmarsch gelangte das Kloster schnell zu hoher Blüte und großem Einfluss. Um 1319 wurde mit dem Bau der Klosterkirche begonnen. 1376 war die dreischiffige Hallenkirche endgültig fertiggestellt. Sie war damals 57 m lang und in der Vierung 41 m breit. Der Bauplan orientierte sich dem Selbstbewusstsein des Ordens geschuldet an den Ausmaßen des Verdener Domes, dessen Grundriss mit einer Abweichung im Chorbereich übernommen wurde.

Kupferstich, Merian, Frankfurt a.M. 1654
Kupferstich, Merian, Frankfurt a.M. 1654

Das Kloster selbst erlebte schon in der Zeit vor der Reformation seinen Niedergang und verlor an politischer und wirtschaftlicher Bedeutung. Mit dem Landtag zu Scharnebeck am 18. April 1527 begann die Förderung des reformatorischen Gedankengutes im Fürstentum Braunschweig-Lüneburg durch Herzog Ernst den Bekenner. Am 12. Juli 1529 übertrug dann der Abt Heinrich Radbruch dem Landesherrn die Verwaltung der Klostergüter. Zur endgültigen Auflösung des Klosters kam es am 23. Oktober 1531 in einer feierlichen Übergabe. Aus einem Teil der Gebäude - unter anderem dem Klosterherrenhaus - wurde ein landesherrliches Schloss und Amtshaus gemacht. Die Mönche verteilten sich vorwiegend als Schullehrer und Küster in der Umgebung, der Prior wurde mit Bardowicker Stiftsvermögen alimentiert und Abt Radbruch zog in seinen Geburtsort Lüneburg, wo er bald der erste evangelische Stadtsuperintendent wurde.

© Thorsten Heinze 2012 Vergleich der Grundrisse der neuen und alten St. Marienkirche (schwarz bzw. weiß) - Rekonstruktion nach Gebhardi - die ehemaligen Gewölbe sind schraffiert eingezeichnet

Die große Klosterkirche wurde der nun evangelisch gewordenen Gemeinde des Ortes zur Nutzung überlassen. Fehlende Bauunterhaltung, wohl vor allem bedingt durch die schwere Zeit des 30-jährigen Krieges brachte die ehemalige Klosterkirche wie auch die übrigen Klostergebäude in den nächsten anderthalb Jahrhunderten in einen Besorgnis erregend schlechten Zustand. Es bestand akute Einsturzgefahr, so dass im Jahre 1712 mit dem Abriss der Kirche begonnen wurde.

Dem Landesoberbaumeister Caspar Borchmann ist es zu verdanken, dass im letzten Moment zumindest der Chorraum gerettet wurde. Hier waren die schadhaften Deckengewölbe schon bis weit in die Fensterzone hinein abgerissen, als er vorschlug, diesen Chor mit einer flachen Decke zu versehen, ihn als Altarraum zu nutzen und einen einfachen Kirchenraum anzubauen. Auf Geheiß des Kurfürsten Georg I. errichtete man daher 1723/24 die neue Kirche (35 x 13 m); von dem alten Gemäuer nutzte man dabei den Chor (in der Höhe um 7 m verringert), die Vierung und einen Teil des 4. Mittelschiffjoches.

© Stefan Kerk 2020

Noch heute ist in aller Deutlichkeit zu sehen, wie der Abbruch damals abrupt zu seinem Ende gekommen ist: Die Proportionen der (obwohl zugemauerten, doch noch deutlich erkennbaren) ehemaligen gotischen Fenster im heutigen Altarraum wirken unstimmig und sie enden ohne einen abschließenden Bogen in der hölzernen Decke. Zwei breite Fenster sind durch Stabwerk in vier schmale Lanzetten unterteilt, zwei schmalere haben eine einfache Unterteilung. Ursprünglich muss der Chorraum sehr gut proportioniert gewesen sein. Noch heute ahnt man seine schöne lichtdurchflutete Höhe. Aus der Wand hervortretende Rundungen weisen auf starke Rundpfeiler im Bereich zwischen ehemaligem Chor und Vierung hin. Auch von außen betrachtet deuten die sichtbaren Strebepfeiler und ein umlaufendes Gesims auf die ganz anderen Abmessungen der Vorgängerin. Auf der Grafik oben sind die Unterschiede gut zu erkennen. Der Neubau wurde zu Pfingsten 1724 geweiht und durfte seinen alten Namen "St. Marien" behalten.

Der Bau entspricht in der Ausführungsplanung der St.Georgskirche in Gartow im Wendland, die zeitgleich 1723/1724 von Borchmann errichtet wurde. Die Ähnlichkeiten sind insbesondere äußerlich unverkennbar. So hat unsere Kirche wie im Mittelalter auch heute einen Schwesterbau, wenngleich dieser in der Innenausstattung noch ein wenig prächtiger im Geschmack des frühen 18. Jahrhunderts ausgeführt wurde.

© Thorsten Heinze 2012

Über dem Portal befindet sich das Wappen von Georg I., Kurfürst von Hannover und König von England. Zu lesen ist das Motto des britischen Hosenbandordens:
„Honi soit qui mal y pense“ (Schande über den, der schlecht darüber denkt)

Glocken und Turmuhr

Das Turmuhrwerk der Firma Eduard Korfhage in Buer/Osnabrück aus dem Jahre 1908 hat einen wöchentlichen Aufzug mit Halb- und Vollstundenschlag sowie Betglockenläuten. Die Turmuhr kostete 777 Mark mit einem zusätzlichen Betglockenwerk für 200 Mark.

Im Kirchturm hängen drei Glocken:

  • Die Uhrschlagglocke KATHERINA wurde 1525 von Medardus Waghevens aus Mecheln gegossen. Die Glocke befindet sich in der Säulenkuppel der Turmspitze. Sie schlägt jede halbe und volle Stunde.
  • In der Glockentube des Turmes hängen 2 Läuteglocken.
    • Die Bet- und Läuteglocke, gegossen 1607 vom Lüneburger Glockengießer Paul Voss (I.) wurde von Ursula, der Herzogin von Braunschweig und Lüneburg gestiftet. Die Herzogin Ursula lebte von 1598 bis zu ihrem Tode 1620 in Scharnebeck. 20-30 Sekunden nach 7, 11 und 19 Uhr schlägt die Glocke täglich jeweils 9x zum Gebet.
    • Die dritte Glocke ist eine reine Läuteglocke. Sie wurde 1772 vom Lüneburger Glockengießer Johann Christoph Hautsch umgegossen. Die Vorgängerglocke von 1649 stammte vom Lüneburger Glockengießer Paul Voss (II.). Der Umguss wurde von König Georg III. in Auftrag gegeben.

Im 1. und 2. Weltkrieg wurde die Hautsch-Glocke von 1772 beschlagnahmt und nach Hamburg abgeliefert. Zur Verhüttung kam es in beiden Kriegen nicht mehr und nach den Kriegen kehrte sie wieder in ihre Gemeinde nach Scharnebeck zurück.

Zu welchen Anlässen die Glocken angeschlagen bzw. geläutet werden regelt eine Läuteordnung.

Inneneinrichtung

© Stefan Kerk 2020

Die Inneneinrichtung der Kirche stammt überwiegend aus der Bauzeit 1723/24. Für den protestantischen Kirchenbau jener Zeit typisch ist der Kanzelaltar: Kanzel und Altar gleichbetont in der Mittelachse zeigen an, dass Wort und Sakrament gleichgewichtig im Gottesdienst stehen sollen.

Von den 14 Altären der Klosterkirche ist in dem 2016 restaurierten Raum der Stille (im Süden an die Kirche anschließend) ein sehr schönes Altarfragment aus dem 17. Jhdt. erhalten; es zeigt die Auferstehung Christi. Die große gedrechselte Holzschale für Fürbittenkerzen stammt ebenfalls aus dem Jahr 2016.

Taufbecken und zugehörige Messingschale sind älter (um 1600). Das Bodenbild der Schale (ursprünglich mit Edelsteinen besetzt) zeigt die Verkündigung durch den Engel an Maria. Die Glasfenster im Chor mit den farbigen Medaillons wurden bei der Renovierung 1959/60 eingebaut.
Beeindruckend sind die Reste des Chorgestühls im Altarraum, das seit seiner Herstellung um 1370 am eindrücklichsten die jahrhundertelange gottesdienstliche Kontinuität in unserer Kirche belegt. Es grenzt an ein Wunder, dass das Schnitzwerk so vollständig erhalten die Zeitläufte überdauert hat. An der Kunstfertigkeit und der Bildsprache der Figuren erfreuen wir uns noch heute. Es ist wie eine kleine Entdeckungsreise. Immer wieder fällt der Blick auf ein anderes Detail: Der kleine David mit seiner Schleuder vor dem Riesen Goliath oder darüber die drei Christus symbolisierenden Vögel:

Der Pelikan, der sich mit dem Schnabel die Brust öffnet, um seine Jungen zu nähren; Der Phönix, der aus der Asche des Todes steigt; Der Vogel Strauß, der durch seinen Blick die Jungen am Leben erhalten haben soll. Dazu kommen Drachen, Ritter, groteske Figuren... ein richtiger Schatz, der hier bewahrt worden ist!

Die Sandsteinmadonna

© Stefan Kerk 2020

Ebenfalls aus dem 14. Jahrhundert stammt die Sandsteinmadonna. Sie hat ein seltsam sanftes und anrührendes Gesicht, das den Betrachter schon zu mancher Meditation eingeladen hat. Früher befand sie sich in einer Nische an der Außenfassade des inneren Torgebäudes des Klosters. 1955 wurde sie von Landwirt Wilhelm Riegel der Kirchengemeinde überlassen und 1956 an ihren heutigen Platz gestellt. Die Madonna steht in Höhe der Stufen zum Altarraum und weist uns hin auf die Namensgeberin der Kirche. Sie wurde im Jahr 2017 aufwändig saniert.

Die Orgel

© Thorsten Heinze 2016

Der Orgelprospekt gehörte zu der 1754 vom Amtmann Graf v. d. Schulenburg gestifteten Orgel. Die heutige Orgel wurde 1994/95 in historischer Stimmung von Hillebrand vollständig neu erbaut (reine Terzen). Sie ist die einzige Orgel der Region, auf der sich Renaissance- und Barockwerke authentisch reproduzieren lassen.

Umgebung der Kirche

Neben den gotischen Zeugnissen der St.Marienkirche sind heute nur noch wenige bauliche Reste aus der Klosterzeit vorhanden. Das ehemalige Kloster­gelände findet seinen südlichen Abschluss in dem "Domäne" genannten Speichergebäude, das heute zu kulturellen Zwecken genutzt wird. Das an dieses rechtwinklig nach Westen anschließende ehemalige Amtshaus wurde um 1700 unter Einbeziehung des inneren Torhauses des Klosters gestaltet. Weiter östlich sind fünf spitzbogige Arkaden der Westwand des ehemaligen Kreuzganges in die Außenwand des ehemaligen Pferdestalls der Domäne integriert.

© Thorsten Heinze 2017

Bei archäologischen Grabungen anlässlich der Errichtung eines Schulneubaus auf dem ehemaligen Klostergelände wurden Fundamente und Bodenanlagen der ehemaligen Klostergebäude freigelegt.

Nicht vergessen werden darf einer der wichtigen Wirtschaftsbetriebe des Klosters: die vom Sauerbach gespeiste Fischteichanlage am Teichholz, bis zum heutigen Tage in Fischereinutzung. Die Ausmaße und Ausführung der gesamten Stauanlage zeigt die wasserbauliche Kompetenz jener Zeit. Die aufgelassenen Teile der Anlage haben sich in den vergangenen Jahrhunderten in ein urwaldhaftes Waldsumpfge-biet verwandelt - das Teichholz , das unter Naturschutz steht und den Besucher in seinen Bann zieht.

Jubiläumsjahr 2003 - 750 Jahre Kloster

© Pastor Meyer-Möllmann 2003

Am 19. Januar 2003 hat die Gemeinde in Verbindung mit der Ortsgemeinde, der Samtgemeinde und dem Heimatverein anlässlich des Jubiläumstages die Kirche so ausleuchten lassen, dass die aus dem Kloster stammenden Anteile im heutigen Gebäude hervorgehoben wurden. Gut sichtbar sind gerade auf diesem Bild die alten Säulen im Altarraum mit ihrer groben Steinstruktur, die sonst nicht erkennbar ist. Im Altrraum ist links und rechts das Klostergestühl zu erkennen. Der vorne rechts ausgeleuchtete Kreis markiert die Madonna.

© Pastor Meyer-Möllmann 2003

Darüberhinaus hat der Lichtkünstler Wolfgang Graemer aus Lüneburg mit Fackeln den Grundriss der Klosterkirche wieder entstehen lassen. Für fast 1000 Besucher an diesem Abend war es ein anrührendes Erlebnis zu erfahren, wie die eigene Historie begehbar und erfahrbar werden konnte.

Das Jubiläumsjahr hat mit dem großen Fest im September 2003 seinen Abschluss gefunden: Alle Vereine, Verbände und Institutionen des Dorfes haben sich zusammengeschlossen, um gemeinsam ein historisches Markttreiben zu veranstalten.

 

 

Wenn Sie mehr über unsere Geschichte erfahren wollen, dann ist die zum Jubiläum erschienene Chronik das Richtige für Sie. "Scharnebeck gestern und heute" ist zu beziehen über die Sparkasse, die Ortsgemeinde oder den Heimatkundeverein

www.heimatkundeverein-scharnebeck.de

St. Marienkirche Scharnebeck, Hauptstraße 50, 21379 Scharnebeck

Gottesdienste: So 10 Uhr

Offene Kirche

In der kalten Jahreszeit bleibt unsere Kirche geschlossen. Geöffnet ist sie außerhalb der Gottesdienste ab dem Dienstag nach Ostern bis zum Erntedankfest von Montag bis Samstag (10-16 Uhr).