Regionalbischöfin Marianne Gorka aus Lüneburg zur Jahreslosung 2026
Liebe Gemeinde, liebe Lesende,
Ein Wort zieht mich in dieser Jahres-losung besonders in den Bann: „Siehe.“ So beginnt der Satz: „Siehe, ich mache alles neu.“ Nicht einfach: Ich mache alles neu. Sondern: Siehe! — Schau hin!
Es ist, als würde Gott uns sanft an-stupsen: „Guck doch mal. Schau an. Heb den Blick! Öffne die Augen! Nimm wahr. Sieh mich an!“
Das „Siehe“ verändert die Haltung.
„Siehe, ich verkündige euch große Freude“, sagt der Engel zu den Hirten in der Weihnachtsnacht – und aus erstem Schreck wird großes freudiges Staunen.
„Siehe, dein König kommt zu dir“, rief schon lange zuvor der Prophet Sacharja - und aus einer großen Vision wird Wahrheit.
„Siehe, das ist Gottes Lamm“, sagt Johannes der Täufer über Jesus - und aus Glauben wird Lebenssinn. „Siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende!“, sagt Jesus
über sein Wirken - und aus dieser Zusage wird eine weltumspannende Mission.
„Siehe!“. Schon ein einzelnes Wort stößt das Neue an und verändert alles. Wenn eine Nachbarin, mit der man lange im Streit war, plötzlich grüßt. Wenn ein Kind, das sonst kaum redet, einem plötzlich erzählt, was es bewegt. Wenn jemand nach langer Krankheit wieder lachen kann.
Oft beginnt Neues ganz leise. Nicht spektakulär, sondern im Alltag. Wer hinschaut, entdeckt es: Lauter kleine Zeichen, die Gottes Handschrift tragen. Siehe!
„Siehe, ich mache alles neu.“ Und dann wird alles neu? Wie auf einer Zaubertafel, wenn mit einem Wisch des Hebels das ganze vorherige Gekrickel weg ist und ich noch mal neu anfangen kann mit meiner Zeichnung? In der Tat, das letzte Buch der Bibel, das Buch der Offenbarung, schaut weit in die Zukunft. Es erzählt von einer Welt, in der Gott alles neu und heil macht: Keine Tränen mehr, kein Schmerz, kein Leid. Das „Siehe“ lenkt den Blick schon heute darauf. Gott will Neues schaffen – mit uns. Kein Wisch und Weg – sondern: du bist mit dabei.
Wie ein Gärtner, der den vorhandenen Boden lockert, damit Neues da-raus besser wachsen kann. Wie im Frühling das alte Holz wieder aus-schlägt. Oder wie jemand, der eine alte Bank abschleift, damit unter dem angesetzten Moos das warme, ursprüngliche Holz wieder sichtbar wird. Behutsam, liebevoll, schöpferisch führt Gott so auf den ursprünglich gedachten Zustand zurück, wenn wirklich alles gut ist, kein Streit mehr, keine Angst, Frieden. Darauf weist dieses „Siehe!“ hin. Siehe, was werden kann und wer-den will – mit Neugier, mit Fantasie, mit Mühe, mit Geduld, mit Offenheit und Liebe.
Mich ermutigt die Jahreslosung, bei Gott in die Seh-Schule zu gehen. Ehe ich jemanden „abhake“, ehe ich etwas vorschnell als misslungen bewerte, eh ich alles schlecht rede, will ich mein Augenmerk auf Gott lenken. Gott lässt aufblicken. Schon verändert sich buchstäblich die Haltung und damit oft auch meine Sicht der Dinge.
Ich will im neuen Jahr genauer hin-sehen. Ich will den kleinen Neuanfängen trauen, im Alltag, in meinen Beziehungen, in Fragen und Zweifeln. Mit einem hoffnungsvollen Blick für das, was alles Gutes und Neues wachsen und werden kann.
„Siehe – ich mache alles neu.“ Ein Wort wie ein Sonnenaufgang. Mitten in unserem Alltag ein Anstoß zum Sehen und Gesehenwerden, weil das jede Seele braucht. Hinsehen ermöglicht so manche Neu-Entdeckung, sogar im Streit, gegen die Angst, für den Frieden.
Dazu segne uns Gott mit offenen Augen, mit einem Herz voller Hoffnung und Mut und mit der Kraft, jeden Tag anzunehmen auf etwas gutes Neues hin.