Monatsspruch Juni 2025

30. Mai 2025
© Bild von Hai Nguyen Tien auf Pixabay

Kinder an die Macht

Neulich bin ich durch Zufall über eine alte Kassette gestolpert. Das war nicht irgendeine, sondern tatsächlich die erste Musikkassette, die ich mir von meinem Taschengeld gekauft habe. Das war 1986, knallrosa Cover mit einem kleinen weißen hüpfenden Männ-chen in der Ecke rechts unten: „Sprünge“ von Herbert Grönemeyer. In Ermangelung eines funktionierenden Kassettenrekorders habe ich mir das Album via Stream angehört. Ich konnte tatsächlich noch jeden Song mitsingen und war erschrocken, wie aktuell die Texte sind. Und das nach fast 40 Jahren…
Das erste Lied werden Sie, werdet Ihr, bestimmt kennen: Kinder an die Macht. „Die Armeen aus Gummibärchen, die Panzer aus Marzipan. Kriege werden aufgegessen. Einfacher Plan, kindlich genial.“ So dichtete Grönemeyer. Und weiter: „Gebt den Kindern das Kommando. Sie berechnen nicht, was sie tun. Die Welt gehört in Kinderhände. Dem Trübsinn ein Ende. Wir werden in Grund und Boden gelacht. Kinder an die Macht!“

Vor 39 Jahren war ich voll seiner Meinung, weil ich ein Kind war und den Gedanken cool fand. Ich an der Macht hätte auf jeden Fall bedeutet, dass ich mein Zimmer nicht mehr hätte aufräumen müssen. Heute gebe ich ihm Recht, weil die vielen „erwachsenen Befindlichkeiten“, die ich bei mir und in der Welt allgemein wahrnehme, zu viel Raum einnehmen. Raum, der für kreative Lösungen und Perspektiven fehlt. Oft genug lenken wir uns von den wesentlichen Dingen ab. Wegen Nichtigkeiten, falschem Stolz.

Jesus scheint das schon damals ähnlich gesehen zu haben: Als Kinder zu ihm kommen wollten, wurden sie von den Jüngern weggeschickt. Jesus ging dazwischen und stellte klar: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkom-men. Dann ließ er die Kinder zu sich kommen, herzte und segnete sie.

Ich bin mir sicher, dass an diesen Haltungen von Grönemeyer und Jesus nichts Naives oder Einfältiges ist. Was wir Erwachsenen von den Kindern tagtäglich lernen können, ist ihre Sicht auf die Welt. Unverstellt und voller Wunder. Nicht ständig ein „Ja, aber“, nicht ständig ein auf der Hut sein, etwas Falsches zu tun, sondern Leben aus dem Bauch heraus. Zielorientiert nicht prozessorientiert. Ein Beispiel:
Wie oft höre ich von Eltern und Großeltern, von Erwachsenen, die das große Glück haben, Weihnachten mit kleinen Kindern feiern zu können, wie schön und wundervoll das Fest ist. Viele Kleinigkeiten bekommen einen Wert, der uns Erwachsenen im Laufe der Zeit verloren gegangen ist, irgendwo zwischen Deko, Geschenke einkaufen, Essensplanung, …
Der Blick auf das wahrhaft Wesentliche, Wunder sehen zu können, ohne sie rational zu zerpflücken, an das Un-mögliche zu glauben: Diese Eigenschaften können wir Erwachsenen gut gebrauchen. Einfacher Plan, kindlich genial.

Es grüßt Sie und Euch Ihre Iris Weiner